Von der Freiheit, sich selbst zu sein
Kaum am Urlaubsort angekommen, wurde ich ins Spital gebracht, weil ich mir mit einem scharfen Messer in die Sehne meines Zeigefingers geschnitten hatte. So landete ich kurz darauf auf dem Operationstisch, den Arm betäubt und etwas benommen. Nach etwa 30 Minuten war wieder alles vernäht. Die Ärzte legten den Arm zurück auf meine Brust. Da erschrak ich.
Völlig verunsichert und verwirrt setzte ich mich auf, schaute um mich, suchte nach Orientierung. Was war geschehen? Ich hatte das Gefühl, dieser Arm könne unmöglich der meinige sein, weil er noch immer ausgestreckt zur Seite gelegt sein sollte. Ich schaute erneut um mich, um mir einen Überblick über die – wie mir schien – verworrene Situation zu verschaffen. Die Augen bestätigten mir jedoch mit absoluter Sicherheit, dass dieser Arm tatsächlich zu meinen Schultern führte. Da erinnerte ich mich an eine Vorlesung über Neuropsychologie und beruhigte mich wieder. Der Professor hatte erklärt, dass die Nerven dem Gehirn zurückmelden, ob eine gewollte Bewegung auch wirklich so ausgeführt wurde wie geplant. Die betäubten Nerven jedoch gaben die Information nicht zurück ins Hirn. Somit ging das Gehirn davon aus, der Arm liege immer noch auf dem OP-Tisch. Es ist sehr irritierend, wenn mein Selbstbild, hier also meine Vorstellung über die Position meines ausgestreckten Armes, mit dem wahren Selbst, hier mit dem auf den Bauch zurückgelegten Arm, nicht übereinstimmt. Die Konfrontation mit der Realität sorgte auf dem Operationstisch für tiefgehende Verwirrung – jedoch mit der Chance, den zurückgelegten Arm über die Augen wieder in mein Selbst am zutreffenden Ort zu integrieren.
Selbstbewusstsein als eine der wichtigsten Hauptaufgaben unseres Gehirns
Um eine möglichst genaue Vorstellung von uns zu haben, kann die gesamte Grosshirnrinde eingeteilt werden in Bereiche, in denen eine «Ich-Vorstellung» aufgebaut wird, z. B. das Körper-Ich, das Verortungs-Ich (ich befinde mich an diesem Ort), das Handlungsplanungs-Ich (ich tue gerade dies und das mit diesem Ziel), das Ich als Subjekt von Emotionen und Gedanken, das autobiografische Ich, das ethisch-moralische Ich, das soziale Ich und viele andere.
Bild: Pixabay
DANIEL ZWIKER, M.A., Psychotherapeut ASP und Theologe mit eigener Praxis, Gümligen, Bern
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