Fleisch und Krebs?
Freilichtmuseum Ballenberg – aus alter Zeit
Ein Ort, den ich immer wieder gerne besuche, ist das Freilichtmuseum Ballenberg in der Schweiz. Eingerahmt in wunderschönes Alpenpanorama, sind dort über 100 historische Häuser aus allen Kantonen pittoresk aufgestellt. Das älteste ist eine Sennhütte von der Axalp aus dem Jahr 1520. Die Bauerngärten, die Nutztiere, die Einrichtungen, einfach alles sieht so aus, als ob die Bewohner nur kurz auf dem Feld oder auf dem Weg zum Wochenmarkt wären.
Mich fasziniert, mit welch einfachen Hilfsmitteln die Menschen sich unter geographisch und klimatisch teils widrigsten Umständen ein Überleben ermöglicht haben. Man spürt regelrecht, wie anstrengend und auch gefährlich so ein Leben gewesen sein muss. Hunger, Kälte, Entbehrung und enorme körperliche Anstrengungen waren vor allem in weniger privilegierten Gegenden an der Tagesordnung. Eine Missernte stellte eine Bedrohung für das Leben einer ganzen Großfamilie oder eines ganzen Dorfes dar. Getreide war kostbar, Milch ein Grundnahrungsmittel und Fleisch ein Garant für das Überleben in Notzeiten.
In der Neuzeit angelangt
Durch immer mehr technische Geräte und Hilfsmittel ist das Leben heute auch in unwirtlichen Gegenden deutlich einfacher, sicherer und weniger anstrengend geworden. Maschinen, Bremskraftverstärker, Servolenkungen, Aufzüge, Rolltreppen, Autos, Busse und Züge helfen uns, dass wir nicht mehr so weit laufen, nicht mehr so schwer heben oder uns anderweitig körperlich so anstrengen müssen.
All das hat dazu geführt, dass die Lebenserwartung durch eine verbesserte Versorgung mit frischen Lebensmitteln, durch die Senkung der Kindersterblichkeit und durch bessere Behandlungsmöglichkeiten von Infektionskrankheiten deutlich angestiegen ist.
Parallel sind andere gesundheitliche Probleme aufgetaucht: So meldete beispielsweise die WHO 2009, dass 40 % der Todesfälle weltweit auf Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes, Bewegungsmangel und Fettleibigkeit zurückzuführen sind. Auch sterben mittlerweile weltweit jährlich mehr Menschen an den Folgen von Übergewicht als an Hunger. Die Zahl von ca. 2 Millionen Hungertoten pro Jahr ist deshalb so schockierend, weil diese Opfer ja nicht nur durch Hunger wegen Krieg und Vertreibung, sondern vor allem wegen der ungleichen Verteilung der – global gesehen - ausreichend zur Verfügung stehenden Lebensmittel zu beklagen sind.
Schwerwiegende Veränderungen
Neben der mangelnden Bewegung sind auch unsere fest verwurzelten Ernährungsgewohnheiten an dieser Entwicklung beteiligt. Welchen Einfluss hat es auf die Gesundheit, wenn Personen, die heute nicht mehr so schwer arbeiten müssen, weiter mit Vorliebe die hochkalorischen Dinge essen, die unseren Vorfahren das blanke Überleben gesichert haben?
Mittlerweile ist unbestritten, dass sich eine vegetarische Ernährung günstig bezüglich Körpergewicht, Cholesterin, Arterienverkalkung (mit den Erscheinungsformen Schlaganfall und Herzinfarkt/koronare Herzkrankheit), Blutdruck und Blutzucker auswirkt.
Auch die Häufigkeit von Krebserkrankungen hat sich von 1970 bis heute in den westlichen Ländern etwa verdoppelt. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes in der Schweiz sind Krebserkrankungen nach Herzkreislauferkrankungen mittlerweile die zweithäufigste Todesursache. Im Jahr 2014 sind dort 21.765 Männer und 18.704 Frauen erstmalig an Krebs erkrankt. Das Risiko, vor dem 70. Lebensjahr an Krebs zu erkranken, betrug für Männer 23,5 % und für Frauen 20,0 %. Im selben Beobachtungszeitraum sind 9.297 Männer beziehungsweise 7.468 Frauen an Krebs gestorben. Der Verlust an potentiellen Lebensjahren bis zum Alter von 70 Jahren wird gemäß den offiziellen Angaben auf 31.807 / 26.773 Jahre beziffert (1). Das sind – neben den Kosten, dem ganzen Leid, dem Schmerz und Kummer, die so eine Erkrankung mit sich bringt – insgesamt fast 60.000 Jahre an Liebe, Zuwendung und Vermittlung von Lebenserfahrung, die allein den Kindern und Enkeln in der Schweiz verloren gehen.
Häufigste Krebsarten – warum?
Die drei häufigsten Krebsarten in der Schweiz sind in absteigender Häufigkeit bei den Frauen Brust-, Darm- und Lungenkrebs und bei den Männern Prostata-, Lungen- und Darmkrebs. Das führt zur Frage, wie sich eine vegetarische Ernährung auf das Auftreten von Krebserkrankungen, speziell auf Brust-, Prostata- und Darmkrebs, auswirkt. Lungenkrebs ist ja bekanntlich stark mit dem Rauchen verbunden.
Es gibt Länder wie Bolivien, China oder die Mongolei, in denen traditionell viel Fleisch gegessen wird. Trotzdem ist dort das Darmkrebsrisiko bemerkenswert niedrig (2; 3).
Dagegen ist es sowohl in Japan 15 – 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg als auch in Korea in der gleichen Zeitspanne nach dem Koreakrieg zu einem markanten Anstieg von Darm- und Brustkrebs gekommen. Das wurde den Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten und dem Import von großen Mengen an Rind- und Schweinefleisch aus den USA zugeschrieben (2). In Indien war insbesondere die Häufigkeit von Brustkrebs stark angestiegen. Dort hatte in den letzten Jahrzehnten die Verarbeitung und Verbreitung von Milch stark zugenommen. In aller Regel bekommen Babys dort ab dem dritten Lebensmonat Kuhmilch zu trinken (4).
Bereits ab den 1960er Jahren gab es eine Reihe von Studien an Siebenten-Tags-Adventisten in den USA, bei denen ein gesunder Lebensstil Teil ihres praktischen Glaubens darstellt. In der «Adventist Mortality Study» (Beobachtungszeitraum 1960 - 1966 mit 22.940 Studienteilnehmern aus Kalifornien) waren die Sterberaten für Brust-, Darm und Lungenkrebs im Vergleich zur «American Cancer Study» erniedrigt.
Während die «Adventist Health Study-1» (1974 - 1988 mit 34.198 Probanden) eine Korrelation mit der Häufigkeit von Fleischmahlzeiten und dem Auftreten von Darmkrebs zeigen konnte (5), kam die große, europäische Vegetarier-Studie (EPIC-Oxford Studie) mit über 63.000 Teilnehmern zu ganz anderen Ergebnissen: Bei insgesamt leicht erniedrigtem Risiko für Krebserkrankungen bestand für Vegetarier ein fast 40 % erhöhtes Risiko, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken (6).
Bei der «Adventist Health Study-2» (ab 2002 mit 96.335 Probanden aus den USA und Kanada) wurde speziell auf fünf unterschiedliche Ernährungsformen (vegan, lacto-ovo-vegetarisch, pesco-vegetarisch, semi-vegetarisch, nicht-vegetarisch) und deren Einfluss auf unterschiedliche Krebserkrankungen geschaut. Das war durch den direkten Vergleich der Krebshäufigkeit in den einzelnen Untergruppen möglich.
Hier die Ergebnisse:
Prostatakrebs: Bei weißen männlichen Veganern war das Risiko um ca. 35 % signifikant vermindert. Für Afroamerikaner, die an sich ein erhöhtes Prostatakrebsrisiko aufweisen, gab es einen statistisch nicht signifikanten Trend (7).
Brustkrebs: Hier gab es im Vergleich der einzelnen Ernährungsformen keine signifikante Risikoreduktion. Diese Ergebnisse waren unabhängig davon, ob die Frauen prä- oder postmenopausal waren oder welcher Volksgruppe sie angehörten (8).
Darmkrebs: Im Vergleich zu den Fleischessern hatten alle Vegetarier zusammen ein 22 % vermindertes Risiko. Weiter aufgeschlüsselt lag die Risikoreduktion für Kolonkarzinome bei 19 % und für Rektumkarzinome bei 29 %. Bezüglich der einzelnen vegetarischen Ernährungsformen stach hier die pesco-vegetarische Kost mit einer Risikoverminderung von 43 % am deutlichsten heraus (HRs: vegan: 0,84; lacto-ovo-vegetarisch: 0,82 ; pesco-vegetarisch: 0,57; semivegetarisch: 0,92) (9).
Nicht einheitliche Datenlage?
Die teils nicht einheitliche Datenlage hatte sich im Lauf der Zeit so weit verdichtet, dass am 26.10.2015 die IARC (International Agency for Research on Cancer, die Krebsforschungsabteilung der WHO) nach der Durchsicht von über 800 wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit der Meldung an die Weltöffentlichkeit trat, dass verarbeitete Fleischprodukte krebserregend und rotes Fleisch potentiell krebserregend seien (10). Verarbeitete Fleischprodukte sind Nahrungsmittel wie Wurst, Schinken oder Speck, die durch Trocknen, Salzen, Räuchern oder sonstige Aufbereitung bezüglich Geschmack oder Haltbarkeit verändert werden. Unter rotem Fleisch versteht man das Muskelfleisch von Säugetieren wie Rind, Kalb, Lamm, Ziege, Pferd oder Schwein.
Salami und Schinken wurden somit hinsichtlich Karzinogenität (Krebserzeugung) dem Asbest und Tabakrauch gleichgestellt. Gemäß der IARC steigt das Darmkrebsrisiko mit der Menge an verzehrten Fleischerzeugnissen kontinuierlich an. Beispielsweise hebt ein Hotdog täglich (ca. 50 Gramm Fleischprodukt) das Darmkrebsrisiko um 18 Prozent.
Auch wenn noch nicht alle ursächlichen Zusammenhänge bezüglich der Karzinogenität von Würstchen & Co. restlos geklärt sind, lohnt es sich dennoch, einmal innezuhalten und die eigenen Ernährungsgewohnheiten zu überdenken.
Wenn wir nicht rauchen, uns ausreichend bewegen, ein normales Körpergewicht halten, ausreichend Obst, Gemüse, Nüsse und Vollkornprodukte essen und unseren Fleischverzehr einschränken oder gänzlich einstellen, tun wir alles in unserer Kraft Stehende, um unseren Kindern, Enkeln und Mitmenschen möglichst lange viel Liebe weitergeben zu können!
Die im Text angegebenen Nummern [(1)-(10)] kennzeichnen die Quellen, die der Autor verwendet hat. Wir haben die Auflistung dieser Quellen aus Platzgründen bewusst weggelassen. Sollten Sie eine Textversion mit den Quellenangaben wünschen, schreiben Sie an redaktion@lug-mag.com. Wir werden Ihnen diese gerne per E-Mail zukommen lassen.
Photo by Unsplash
DR. MED. MARKO KLEMENZ, Facharzt für Allgemeinmedizin, Notfallmedizin, Suchtmedizin, Diabetologie Kleines Wiesental, D
- Fleisch und Krebs? (1.021 kB) >speichern<
Folgende Artikel finden Sie in dieser Rubrik auch noch:
Noch vor wenigen Jahren war es für Menschen, die auf Fleisch verzichten, schwierig, auf der Speisekarte eines normalen Restaurants etwas Ansprechenderes zu finden als Salat und Pommes. Heute ist dies anders. Auch in Supermäkrten kann man auswählen.
mehr lesen
Bewusst essen – gesunde Ernährung?
Das Wochenende naht. Jonathan und Christina haben Semesterferien und kommen nach Hause. Der Kühlschrank ist fast leer. Was soll es am Wochenende geben? Wer mag was am liebsten, und ist das, was sie mögen, auch wenigstens ein bisschen gesund?
mehr lesen
Das Baby ist gesund zur Welt gekommen. Die Mutter hat sich in der Schwangerschaft bestens auf dieses Ereignis vorbereitet und stillt das kleine Wesen liebevoll. Was ist denn an der Muttermilch so toll?
mehr lesen
CNN berichtet über gesunde Adventisten
Der US-Fernsehsender CNN berichtet über den gesunden Lebensstil der Adventisten. Der CNN-Moderator Dr. Sanjay Gupta besuchte das adventistische Universitäts-Krankenhaus in Loma Linda, Süd-Kalifornien, um der Frage nachzugehen, warum Adventisten gesünder, glücklicher und länger leben.
mehr lesen
Immunsystem in der Zeit der Coronakrise stärken
Die Coronakrise hat uns blitzschnell aufgezeigt, wie "verwundbar" wir als Menschen sind. Gerade in Zeiten wie diesen ist ein starkes Immunsystem unerlässlich. Hier ein paar Tipps, was Sie tun können, um ihr Immunsystem zu fördern:
mehr lesen