Der Koch ist wichtiger als das Rezept
oder: Wie Sie schlechten Genen ein Schnippchen schlagen können
Interview mit Dr. Heidi Schulz, Wissenschaftlerin am Institut für Humangenetik der Universität Regensburg, über die grosse Bedeutung des relativ neuen Forschungszweigs der Epigenetik. Bei der Entstehung von Krankheiten spielen Gene eine wichtige Rolle. Mindestens ebenso wichtig ist aber die Frage, was oder wer unsere Gene steuert. Die Fragen stellte Dr. med. Ruedi Brodbeck.
Brodbeck: Frau Dr. Schulz, lieben Sie gutes Essen?
Schulz: Ja, ich probiere gerne neue Gerichte, und mein Mann verwöhnt mich öfter mit leckeren Thai-Rezepten. Aber es war nicht immer so. Als Kind habe ich nicht gerne Gemüse gegessen, aber dank meiner Eltern, die nicht aufgegeben, sondern mich aufgefordert haben, es zu essen, habe ich es schätzen gelernt.
Brodbeck: Bei vielen der heute zunehmend häufigeren nicht übertragbaren Krankheiten wie hohem Blutdruck, hohen Blutfettwerten, Zuckerkrankheit, Übergewicht und Herzkrankheiten spielt sowohl die Ernährung als auch die Vererbung eine Rolle. Manchmal höre ich Patienten sagen: «Wissen Sie, in unserer Familie waren alle schwer übergewichtig und bekamen Zucker. Das sind einfach die Gene. Da kann man nichts machen.» Stimmt dies? Oder anders gefragt: Wie beeinflussen unsere Gene die Gesundheit?
Schulz: Es stimmt, dass manche Gene, die wir von unseren Eltern geerbt haben, nicht die optimale Sequenz haben. Gene können Fehler enthalten. Es gibt Krankheiten, die durch einen einzigen vererbten Gen-Fehler verursacht werden. Aber wenn die Gene die einzigen «Spieler» in Sachen Gesundheit wären, müssten z. B. eineiige Zwillinge immer auf die gleiche Weise erkranken. Auch die Rate von Krebs und Herzinfarkt sollte für Angehörige einer ethnischen Gruppe immer gleich bleiben, unabhängig davon, wo sie leben. Aber genau dies ist nicht der Fall. Es müssen also andere Faktoren bei der Krankheitsentstehung ausschlaggebend sein. Zur Entwicklung der erwähnten Krankheiten tragen vererbte Faktoren nur zu einem geringen Teil bei. Tatsache ist, dass die meisten Europäer weniger Obst und Gemüse verzehren als von der Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) empfohlen (400 g pro Tag oder auch mehr) und dass Tabak- und Alkoholkonsum die beiden wichtigsten krankmachenden Faktoren sind. Aus verschiedenen Studien geht hervor, dass der Einfluss der Gene auf das Altern bloss 25 %–30 %, derjenige des Lebensstils 70 %–75 % beträgt.
Brodbeck: Wenn die Gene eine so wichtige Rolle spielen: Wie kann es denn sein, dass sich bei übergewichtigen Patienten mit Diabetes Typ II die Zuckerwerte ganz dramatisch verbessern, wenn sie an Gewicht abnehmen und beginnen, körperlich aktiv zu sein. Könnte der Lebensstil die Gene beeinflussen?
Schulz: Das ist tatsächlich so. Viele Jahrzehnte lang hat man nur von der Existenz der Gene, die aus nur vier Teilen (Cytosin, Adenin, Thymin, Guanidin) zusammengesetzt sind, gewusst. Und obwohl man erkennen konnte, dass es nicht möglich sein kann, dass alles durch die Gene bestimmt wird (Nature), hat man keine Hinweise darauf gefunden, wie der Einfluss der Umgebung (Nurture) konkret an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sein könnte.
Weiterlesen? Laden Sie den ganzen Artikel kostenfrei herunter!
Dr. Heidi Schulz, Humangenetikerin
- Interview mit Frau Dr. Heidi Schulz (859 kB) >speichern<
Folgende Artikel finden Sie in dieser Rubrik auch noch:
Je mehr Alkohol, desto höher das Krebsrisiko
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) weist darauf hin, dass Männer nicht mehr als 20 und Frauen nicht mehr als zehn Gramm Alkohol pro Tag aufnehmen sollten. Zehn Gramm Alkohol steckten in einem „Drink“, zum Beispiel ein Glas Bier, Wein oder Schnaps. Würde diese Menge nicht überschritten, wären zahlreiche Krebsfälle vermeidbar. Bei Männern könnten 90 Prozent und bei Frauen 50 Prozent der alkoholbedingten Krebskrankheiten und Krebstodesfälle verhindert werden. Das seien etwa 720.000 Krankheits- und 430.000 Todesfälle weltweit. Zur Krebsprävention wäre es also am besten, gar keinen Alkohol zu trinken.
mehr lesen
Das Zusammenspiel von Herz und Seele. Herz und Seele sind enger miteinander verbunden, als Wissenschaftler lange wahrhaben wollten. Psychokardiologen beobachten schon seit mehreren Jahren das Phänomen der sogenannten „Herzratenvariabilität“ und welche Auswirkungen vor allem Streß und psychische Störungen auf sie haben können.
mehr lesen